Der Modus der Pfarrwahl unterschied sich von einer heutigen in mancherlei Hinsicht: Sind es nunmehr allein die Presbyter, welche laut Kirchenordnung über die Wahl eines Pfarrers zu entscheiden haben, so war diesem Gremium in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg noch eine ganze Anzahl an Gemeinderepräsentanten beigesellt, die ebenfalls volles Stimmrecht und vor allem die überwältigende Mehrheit besaßen. In Meiningsen standen den vier Presbytern sechzehn solcher Repräsentanten gegenüber.
Nun besitzt Meiningsen bis auf den heutigen Tag ein sogenanntes Patronat besonderer Art: Die Stadt Soest, in ihrer Vergangenheit vor allem aus militärstrategischen Gründen an einem festen Ort auf der Haar interessiert, wollte für Kriegszeiten die Meiningser Kirche als eine Art Warte in gutem baulichen Zustand erhalten wissen. Während der Soester Fehde und des Dreißigjährigen Krieges hat die St. Matthias Kirche in der Tat eine entsprechende Rolle spielen müssen. Aus diesem Grunde hatte die Stadt Soest die Verpflichtung übernommen, bei etwa anfallenden Restaurierungen der Kirche zwei Drittel der Baukosten zu tragen, wenn denn die Kirchengemeinde das notwendige Geld nicht alleine aufbringen könne. Daß eine solche Patronatsverpflichtung nicht ohne Gegenleistung erfolgen kann, liegt auf der Hand. Der Rat der Stadt Soest hat als Patron das Recht, bei einer Pfarrstellenbesetzung ein gewichtiges Wort mitzureden, d. h. aus der Anzahl der Bewerbungen drei Kandidaten zur Wahl vorzuschlagen. So gelangten 1891 in die engere Wahl: 1. Hugo Heim; 2. Viktor Raabe; 3. Ernst Schaeffer. Die auch in dieser Reihenfolge vorgeschlagenen Kandidaten hatten eines gemeinsam: Sie kamen aus Soest.
Man mag über einen solchen Lokalpatriotismus lächeln oder auch nicht: Die sich darin spiegelnde Fürsorge um die Kandidaten aus den eigenen Reihen ist allemal sympathischer als die Art, mit der der Rat 1933 gleich nach der Pensionierung Raabes sein Recht bei der zu erwartenden Pfarrstellenbesetzung einforderte, obwohl das Münsteraner Konsistorium die Stelle gar nicht freizugeben gedachte. In dieser Anfrage wird deutlich, dass nunmehr die politische Korrektheit im Sinne des Dritten Reiches zum Auswahlkriterium geworden wäre; ein Versuch der Gleichschaltung also.
Nach erfolgter Vorstellung und Probepredigt der Kandidaten entfielen 1891 vier Stimmen auf Hugo Heim und 16 Stimmen auf Viktor Raabe. Der Umschlag mit dem Ergebnis der namentlichen Abstimmung liegt noch versiegelt im Landeskirchlichen Archiv.
Obwohl sich im Abstimmungsergebnis das Zahlenverhältnis zwischen Presbytern und Gemeinderepräsentanten zu spiegeln scheint, ist es doch zufällig zustande gekommen: Einer der Repräsentanten, der Schmied Funke, hatte für Heim gestimmt und beklagte sich in einem Schreiben an das Konsistorium über die Repressalien, die er aufgrund seiner Minderheitenmeinung nunmehr von seinen Kollegen auszustehen habe, und erklärte den Rücktritt von seinem Amt mit sofortiger Wirkung. Doch scheint man sich anschließend im Einvernehmen arrangiert zu haben: Im Synodenbericht von 1932 wird des verstorbenen Funkes als Meiningser Kirchmeisters gedacht.