Heimat für Heimatlose [1] (von Dela Risse)

Heimat für Heimatlose

Abbildung aus: Wolfgang Rausch, Geschichte der Kirchengemeinde Meiningsen (Entwurf).

Wolfgang Rausch kam 1945 als Pfarrer in die Gemeinde Meiningsen. In seinem nicht veröffentlichten Entwurf: "Geschichte der Kirchengemeinde Meiningsen" [2] berichtet er auch über das Leben der Meiningser Bürger in der Nachkriegszeit:

"Der zweite Weltkrieg brachte - vor allem in seinen Auswirkungen - verzehnfachtes Elend im Vergleich mit dem ersten. Es kamen Ströme der Flüchtlinge, die nichts hatten, die Ausgebombten, die Kriegsbeschädigten, die von den Entbehrungen 1939-1948 Erkrankten. Es war Not an den Lebensmitteln, in vielen Häusern war der Hunger täglicher Gast; dazu kamen die Scharen der 'Hamsterer' aus dem Industriegebiet, die oft nur um eine einzige Kartoffel baten. Aber es mochten wohl fünfzig am Tag werden, die so baten. Es war Not an Kleidung, viele waren nur in Lumpen aus dem Osten gekommen; die alten Bestände der Einheimischen waren in den Kriegsjahren 'gespendet' bzw. von den Russen geplündert worden. Es war Not am Wohnraum.

Nur widerwillig schränkten sich die Einheimischen mehr und mehr ein; die Häuser waren nicht für viele Familien gebaut; auch machten manche schlechte Erfahrungen mit den Gästen. Es war - nach der Währungsreform - Not am Geld. Wenig Verdienst (die vielen Alten und Arbeitsunfähigen beziehen nur Wohlfahrtsunterstützung; die Preise sind oft verdreifacht gegen die Nachkriegszeit, die Löhne und Renten blieben z. T. gleich).

Geballt war die Not vor allem in der Diaspora, deren Evangelische ja fast ausschließlich Flüchtlinge und Ausgebombte waren [Information von Ulf Loewer: Die St. Matthias-Kirche wurde in dieser Zeit vorübergehend auch für katholischen Gottesdienst genutzt]. Der Wille der Gemeinde selbst zum Helfen war nicht sehr groß, fast jeder war ausschließlich mit sich selbst beschäftigt, wobei zugegeben werden muß, daß es in vielen Häusern Probleme und Nöte gab, die über die vorhandene Kraft gingen. Aber dennoch läßt sich nicht leugnen, daß viele nicht nur äußerlich hilflos vor fremder Not standen (das gilt für uns alle), sondern vor allem, daß wir mehr oder weniger innerlich völlig unbeteiligt waren an dem, was den anderen drückt. Es hätte bei gutem Willen doch leicht an mehreren Punkten (Wohnraum!) manches besser sein können.

Wenn der Glaube sich in der Liebe bewähren muß, dann hat die Gemeinde, zu der ich auch gehöre, die Probe nicht bestanden. Ganz einzelne aber haben sich - das soll nicht verschwiegen werden - auch im Dienst am Bruder mit gleichbleibender Freudigkeit bei schwerer persönlicher Belastung bewährt.

So gering die Hilfe aus eigener Kraft war, so (...) war die Hilfe der Christenheit in der Welt. Auch in unserer Gemeinde sind viele Zentner auswärtiger Lebensmittel, vor allem 1946 bis (19)48, auch noch in den folgenden Jahren, gewandert, die vom 'Hilfswerk der evgl. Kirchen' verteilt wurden.

Wenn auf den Einzelnen, Bedürftigen, auch oft nur 1-2 Pfund Mehl oder Hülsenfrüchte kamen, so war es doch eine große Freude und ein Hinweis auf die Wirklichkeit christlicher Liebe. Ebenso wichtig waren die vielen Säcke mit Kleidungsstücken.

Manche, vor allem kinderreiche Familien erhielten im Lauf der Zeit 30 und mehr Kleidungsstücke, eine spürbare Hilfe. Im Ganzen etwa 600 Kleidungsstücke, Kleider, Mäntel, Decken, Wäsche und ca. 80 Paar Schuhe und Überschuhe (bis November 1949). 1 Zentner Fett, Fleisch; 1 Zentner Hülsenfrüchte; 1½ Zentner Gemüsekonserven u. a. (...)."

Laterne

Auf einem Hof im Dorf hatte man nach den Wirren des Krieges einen Nachtwächter angestellt, um die Menschen mit ihrem Hab und Gut zu schützen. Er benützte diese Laterne mit blauem Glas. (Foto Dela Risse)

Zwei Meldungen aus der Tagespresse:

Grosses Schlesiertreffen in Soest

Für das Wochenende vom 6./7. August ist ein großes Schlesier-Treffen in Soest geplant, zu dem mehr als 5000 aus ihrer Heimat vertriebene Schlesier erwartet werden. Es handelt sich um ein Treffen der Kreise Breslau, Neumarkt, Waldenburg, Reichenbach, Lauban, Schweidnitz und Glatz. Aus allen Teilen Westfalens werden am ersten Augustsonntag die Vertriebenen dieser Kreise in Soest zusammenkommen, um alte Erinnerungen an die schöne Heimat auszutauschen, Bekanntschaften neu zu festigen und über die gemeinsame Arbeit zu beraten.

aus "Westfalenpost", 21. Juli 1949

Der Polizeikreisvorsteher teilt mit:

Aus Anlaß der Feierlichkeiten der Besatzungsmacht zum heutigen belgischen Nationalfeiertag am 21. Juli 1949 sind verschiedene Verkehrsumleitungen erforderlich. Belgische Truppen veranstalten aus diesem Anlaß einen Umzug durch die Stadt Soest, wobei Militärfahnen mitgeführt werden. Auf Anordnung der Militärregierung sind die mitgeführten Fahnen von der männlichen Bevölkerung durch Hutabnehmen zu grüßen.

aus "Westfalenpost", 21. Juli 1949

Quelle

  1. Dela Risse: Meiningsen im Wandel der Zeit. Meiningsen 2001. Siehe Literaturverzeichnis.
  2. Wolfgang Rausch: Geschichte der Kirchengemeinde Meiningsen. Nicht veröffentlichter Entwurf.