Dreschtag in Meiningsen [1]

Lanz-Bulldogca. 1938/39
Heinrich Gosselke auf seinem Lanz-Bulldog, erst später bekam diese Zugmaschine Pneus. (Foto von Familie Gosselke)

Vor etwa 50 Jahren war für uns Meiningser Dorfkinder [2] das Getreidedreschen auf einem der Höfe immer wieder ein aufregender Tag.

Je nach Bedarf mußten im Jahreslauf - meist jedoch im Winter - Gerste, Roggen, Weizen, Hafer und Raps gedroschen werden. Wenn es dann hieß: "Öewermorn wet fui maschuinen", sahen wir diesem Tag mit besonderer Spannung entgegen. Damit es möglichst früh losgehen konnte, traf das ganze "Werks" der Lohndrescherei Gosselke aus Sieveringen bereits am Vorabend ein. Der Bulldog voran kündigte mit seinem dumpf knallenden Sound lautstark schon vom Epsingser Weg her das Eintreffen der gesamten Dreschgarnitur an. Sie bestand aus dem Lanz-Bulldog (Baujahr 1926), der Dreschmaschine, der Strohpresse, dem Elektromotor- und dem Brennstoffwagen, der das Rohöl für den Bulldog mitführte. Wir liefen dem Ungetüm entgegen, wollten erleben, ob dieser "Lindwurm" von fast 25 m Länge auch die Hofeinfahrt schaffte. Irgendwo sprangen wir auf, fuhren mit, um die Fahrkünste von "Oldmester" Heinrich Gosselke auf dem Bulldog genau beobachten zu können. Er kannte alle Hofeinfahrten und lenkte die mit Vollgummi bereiften Vorderräder seines Bulldogs gekonnt in einen weiten Ausholbogen, so daß der gesamte Zug die Engstelle unbeschadet passieren konnte bis zum Halt auf dem Hof. Hinter dem Zug saß Sohn Heinz auf dem Motorrad und gab Obacht, damit nichts verloren ging; denn im Motorwagen befanden sich noch das Werkzeug, die Treibriemen, die Winden, Laternen, Lötlampen, Schmierstoffe und mehrere Rollen mit Bindegarn.

Nach der Begrüßung gab "Oldmester" allen hinzugekommenen Helfern die notwendigen Anweisungen. Der Zug wurde auseinandergehängt, und der Bulldog zog oder schob den Dreschkasten auf die bereits geöffnete Scheunentenne. Waren die Tore etwas zu eng, dann mußten zur Erweiterung sogar die Torflügel ausgehängt und beiseite gestellt werden. Mit viel Fingerspitzengefühl und ihrer großen Erfahrung konnten Vater und Sohn diese Millimeterarbeit meistern. Nun mußte mit Hilfe der Winden der Dreschkasten ausgerichtet, d.h. in die Waagerechte gestellt werden. Wir reichten dabei Holzkeile und Bretter an und beobachteten genau die Wasserwaagen, bis alles stimmte. Der waagerechte Stand war nötig, um das Reiben in den Lagern zu verringern und eine einwandfreie Arbeit der Siebe und Schüttler zu gewährleisten. Bevor "Oldmester" den Bulldog wieder bestieg, rief er noch: "Blagen, got do deunel" Nun hielt es sehr genau, weil er den Bulldog in Längsrichtung zur Dreschmaschine so ausrichten mußte, damit der lange, lederne Flachtreibriemen aufgelegt werden konnte. Der übertrug die Kraft von der Riemenscheibe des Bulldogs auf sämtliche Funktionen der Dreschmaschine. Der elektrische Antrieb kam nur auf den Höfen zum Einsatz, die über einen Starkstromanschluß verfügten. Damit der Riemen stramm gespannt blieb, hatte Sohn Heinz den Bulldog sofort fest verkeilt. Anschließend wurde die Strohpresse vorgesetzt und über einen kleineren Treibriemen mit dem Dreschkasten verbunden. Es wurde schon dunkel, bis alles korrekt aufgebaut war. In dem zufriedenen Gefühl, die gesamte Dreschgarnitur startklar zu haben, tranken alle Erwachsenen noch einen "Klaren", bevor sich Vater und Sohn) dann aufs Motorrad schwangen und die Heimreise nach Sieveringen antraten.

Am nächsten Morgen sind sie die ersten in der Scheune. Während Heinz mit der Lötlampe den noch kalten Bulldog vorglüht, geht "OIdmester" mit einer Ölkanne von Lager zu Lager und prüft gleichzeitig die vielen Treibriemen am Dreschkasten auf Sitz und Spannung. Heinz wirft mit dem herausnehmbaren Lenkrad den Bulldog an, und die Dreschleute rufen: "Lott brummen!" Zuerst leise, dann hörbar lauter und lauter brummt der Kasten monoton, bis der Mann oben am Einlauf die erste Garbe einläßt. Aus der Scheunenbanse wirft man ihm nun fleißig Garben zu, die er öffnet und gleichmäßig einlaufen läßt. Plötzlich dröhnt aus dem Dreschkasten ein tiefes Brummen, und der Bulldog kann seine Drehzahl nicht mehr halten. "Säo goit dat nit, Mannsluie!", hörte man "Oldmester" nach oben fluchen. Dem Einleger war eine ganze Garbe in den Einlauf gerutscht. Wir Kinder bekamen "was in den Nacken", wenn wir immer dreister herumturnten. Sowohl in der Banse, als auch im Strohlager versuchten wir, Gänge und Buden zu bauen. Kaff und Staub übten auf uns besondere Reize aus. Mutig hielten wir unsere Gesichter in den Auswurf des Kaffgebläses und genossen mit geschlossenen Augen diese ungewöhnliche Hautmassage. Höchst faszinierend war die Kraft des Sackaufzuges. Schwere, mit dem reinen Korn gefüllte Jutesäcke hievte er im Doppelzentner einem kräftigen Knecht aufs Kreuz, der sie dann auf einen Anhänger trug. Zu gerne fuhren wir selbst, sogar zu zweit, mit diesem offenen "Fahrstuhl" in die Höhe bis zum Endpunkt, von dem es anschließend gut gebremst wieder nach unten ging. Uns erschien die Dreschmaschine wie ein großer Zauberkasten. Es war unglaublich, wie dieses Spiel aus Rädern, Treibriemen, Schüttlern, Sieben, Gebläsen und Elevatoren so sauber Korn, Spreu und Stroh voneinander trennte. Vater und Sohn Gosselke hatten die Maschinistenaufgaben in ihrer Hand. Während "Oldmester" den Bulldog, die Treibriemen und die Schmierstellen beobachtete und betreute, kümmerte sich sein Sohn um die Strohpresse, das Bindegarn und die einwandfreie Verknotung der Bunde. Je nach Bedarf schob die Presse das gebundene Stroh über lange Führungsschienen hoch auf einen vorgestellten Wagen oder auf einen Lagerboden. Nach einiger Zeit gab es die erste Schnapspause. Ein Klarer half gut gegen Staub und Kratzen im Hals. War kein Pinneken zur Hand, ließ man die Flasche kreisen, und jeder durfte seine Daumendicke heraustrinken. Dabei sahen wir in den staubigen Gesichtern oft gerötete Augen und hinter dem Halstuch einen Rand von Schweiß und Staub. Einige Helfer hatten sich so vermummt, daß sie gespenstisch auf uns wirkten. Doch die Kleidung der Gosselkes war uns lange vertraut. Sohn Heinz arbeitete immer in seinem alten "Blaumann", und "Oldmester" trug meist eine Stiefelhose mit Gamaschen und darüber seine abgewetzte Lederjacke. Wenn alles gut lief "schmoikte" er zwischendurch eine seiner "Puipen".

Dreschkasten
Der Dreschkasten mit "Oldmester" Heinrich Gosselke. (Foto von Familie Gosselke)

Für uns Kinder stieg die Spannung noch einmal an, wenn in der Banse die letzten Lagen abgehoben wurden. Das war auch die Stunde für "Flocky", "Nelly" und die lauernden Hofkatzen. Die Jagd auf die flüchtenden Ratten war eröffnet. Die sausten in ihrer Not in jedes sich bietende Schlupfloch, und deshalb banden sich die Leute in der Banse vorsichtshalber ihre Hosenbeine mit "Packsband" zu. Wir brachten uns rechtzeitig auf einem höher gelegenen Fachwerkbalken in Sicherheit und erlebten von dort die hektische und todbringende Hatz. Ganz zum Schluß kratzte und fegte man das Ausfallgetreide in der Banse und auf der Tenne zusammen. Es wurde zuletzt durch den Dreschkasten geschickt und verursachte noch einmal eine Staubwolke, in der für einen Moment die ganze Scheune verschwand.

Der Abbau der Maschine verlief anschließend recht zügig. Die Treibriemen wurden abgezogen und sorgfältig aufgerollt. Alle faßten mit an, um den Zug wieder zusammenzuhängen. Die Männer schoben so gut sie konnten; zur Not griffen sie in die Speichen und befolgten Oldmesters Kommando: "Tau - gluik!" Der Zug stand, und Heinrich Gosselke bestieg den sich tief abfedernden Bulldogsitz. "Guet gaon, bit duise Dage!", rief er in die Runde, griff in das hölzerne Lenkrad und gab Gas. In der Abenddämmerung schwirrten Funken wie Glühwürmchen über dem himmelwärts gerichteten Auspuff, und mit seinem unvergleichlichen Getöse rollte "das Werks" vom Hof.

Das war der Schlusspunkt eines ereignisreichen Dreschtages.

Dreschen mit Dampfantriebca. 1920
Dreschen mit Dampfantrieb bei Bals auf der Deele. (Foto von Elsbeth Rösner)
Links unter dem Schwungrad Schneider Tigges mit Hut, links daneben Frau Tigges, Frau Jakubeit, Frau Sobieralski.

Quellen und Anmerkungen

  1. Götz Loewer in:
    Dela Risse: Meiningsen im Wandel der Zeit. Meiningsen 2001, S. 193ff. Siehe Literaturverzeichnis.
  2. Götz Loewer wurde 1939 in Bochum geboren. Während des Krieges zog die Familie nach Schlesien und später in das Sudetenland. Im Herbst 1945, bald nach dem Tod der Mutter, wurde er mit seiner Familie von dort vertrieben und gelangte im November 1945 nach Meiningsen. Die Meiningser Volksschule besuchte er bis Juli 1953 und begann 1954 seine erste Berufsausbildung zum Bergmann. 1964 legte Götz Loewer in Dortmund das Steigerexamen ab. Von 1966 bis 1969 studierte er an der Pädagogischen Hochschule in Dortmund und unterrichtet seit 1970 an der Hauptschule Ense-Bremen die Fächer Mathematik, Physik, Erdkunde und Sport. Er lebt heute in Ense-Bremen, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne.