Zu den Vorbereitungen eines Schützenfestes oder Schützengelages, wie man früher sagte, gehört die Beschaffung der Gewehre und notwendigen Munition für das Vogelschießen. Heute wird per Telefon oder Fax beim Waffenhändler das Vogelschießen terminiert, und Gewehre, Munition einschließlich fachlicher Aufsicht sind - gegen entsprechende Bezahlung - pünktlich unter der Vogelstange.
Vor gar nicht allzu langer Zeit - was sind schon sechzig, siebzig Jahre in unserer schnellebigen Zeit, sah das an vielen Orten noch ganz anders aus. Da gab es noch Vereine, welche sich für ihr Vogel- oder Adlerschießen ihre Patronen selber herstellten. Es war die Zeit, als "auf dem Lande" eine Schrotflinte in jedem Hause zum festen Inventar gehörte, und diese aber nicht nur zum Schützenfest aus der Ecke, von der Kammer geholt wurde.
Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre verbrachte ich Ferien, Feiertage und viel Freizeit auf dem Drosten-Hofe meiner Großeltern in Meiningsen. Das Schützenfest in Meiningsen begann traditionsgemäß, wie bei den meisten Börde-Dörfern, am 2. Pfingsttage. So war es ganz natürlich, daß ich alle Festvorbereitungen direkt miterlebte. Außerdem war Onkel Heinrich "Bannerträger" (Samtkissen mit Orden der bisherigen Königspaare) und Mitglied des Vorstandes.
Einige Tage vor dem Schützenfest versammeln sie sich um einen langen Tisch auf Drosten-Deele. Getränke gab es, außer einem Korn zu Beginn und zum Ende der Zusammenkunft, nicht. Und Drosten-Vaar (Drosten-Opa) achtete streng darauf, daß nicht heimlich eine Mutze, eine Pfeife, daß überhaupt nicht geraucht wurde. Es wurden zwei Gruppen gebildet: eine blieb auf der Deele und die andere ging in die Küche. Für uns Jungen gab es viel zu sehen und zu staunen, aber irgendetwas anzufassen oder näher zu betrachten, das getrauten wir uns nicht. Auf dem Tische stand ein Beutel mit Holzkohle, ein kleinerer mit Schwefelstücken und einer mit Salpeter, dazu drei schwarze Eisenmörser. Außerdem hatten die meisten ihre Schrotflinten zum "Waffenappell" dabei. Dieser Waffenappell fand aber nicht statt; er war nur angesetzt, damit möglichst viele zu dieser Zusammenkunft kommen sollten.
An dem Tisch hatte die "Arbeit" begonnen. In einem Mörser wurden Holzkohlenstücke, in einem anderen Schwefel zerrieben und anschließend in getrennte Blechdosen gefüllt. Am anderen Ende des Tisches wurden Holzkohlen-und Schwefelpulver abgewogen und in eine Blechtrommel gefüllt (sah aus wie ein damaliger Kaffeeröster), eine bestimmte Menge Salpeter dazugegeben, das Ganze gut gemischt und anschließend in langhalsige Pulverflaschen aus Blech gefüllt. Dieses Schwarzpulver wurde auch zur Herstellung der "Kattenköppe" (Katzenköpfe) für den Königssalut verwendet. (Katzenköpfe, heute würde man Böller sagen, werden wie folgt hergestellt: Ausgediente Wagenradbuchsen wurden an der breiten Öffnung mit einer Eisenplatte zugeschweißt, eine bestimmte Menge Schwarzpulver eingefüllt, eine etwa einen Meter lange Zündschnur bis an das Schwarzpulver gelegt, Papier und Pappestücke dick darauf gedrückt und zum Abschluß dick mit feuchtem Lehm verschlossen. Diese "Kattenköppe" wurden aber nicht nur zum Königssalut, sondern auch zum Neujahrsschießen "gezündet".)
In der Küche brodelte flüssiges Blei in einem Eisentopfe auf dem Herd. Hinter dem Herd wurde dieses flüssige Blei mit einem Eisenschleif in eine Zangenform gegossen; diese dann in einem großen Topf mit kaltem Wasser abgekühlt; die Zange über einer Eisenpfanne geöffnet und heraus fielen drei zentimeterdicke Bleikugeln. Währenddessen bemühten sich am Küchentisch mehrere Schützen aus alten Zeitungen und Packpapier daumenlange Papierpfropfen herzustellen. Am unteren Ende des Küchentisches wurden die Patronen gefertigt. Aus einem Weidenkorb entnahm man leere Schrotpatronenhülsen, legte ein Zündplättchen in die Hülse, füllte eine bestimmte Menge Schwarzpulver ein, preßte darauf einen Papierpfropfen und obenauf eine Bleikugel. Fertig war die Patrone.
Doch so einfach, wie ich den Herstellungsvorgang schildere, war er nicht. Ab und zu zerbarst eine Patronenhülse und dann wurde mit viel "Vorsicht-Vorsicht-Rufen" das Schwarzpulver mit dem Messerrücken auf ein Stück Papier gekratzt und in die Pulverflasche zurückgefüllt.
Holzkohle, Schwefel und Salpeter wurden eingekauft. Aber wo beschafften sie sich die vielen Patronenhülsen? Bei den Treibjagden im Herbst und Winter mußten wir Jungen - natürlich mit dem gebührenden Abstand - den Jägern folgen und die leeren Hülsen auflesen. Und die gab es reichlich, denn Fehlschüsse waren auch damals schon bekannt.
So schweigsam, wie man nach meiner Schilderung meinen könnte, ging es beim "Kugelgießen" nicht zu; Hauptthema war natürlich das "Kugelgießen" und das anstehende Schützenfest.
Mucksmäuschenstill wurde es allerdings, wenn "Drosten-Opa", der aus einer Küchenecke aus seinem großen Ohrensessel das Geschehen verfolgte, aus seiner Schützenzeit erzählte. Und "Drosten-Opa" konnte so schön erzählen ..., wie zu seiner Zeit das Bier noch gemeinsam "gekocht" (er sprach nie vom Brauen, sondern nur vom Kochen des Bieres!) wurde.
So wußte er auch zu berichten, daß das Einsammeln der notwendigen Brau-Gerste ein ganz wichtiges Ereignis und sogar in den 'Vereins-Statuten' fest eingeordnet gewesen sei. Und wie aufgeregt man der "Bierprobe" eine Woche vor dem Schützenfest entgegengefiebert habe: Ist das Bier geraten? Ist es in Ordnung? Und es war wirklich eine Probe, denn eine weitere Probe war wegen des kurz bevorstehenden Festes nicht möglich. Nach seinem Erleben ist das Bier aber immer in Ordnung gewesen.
Über das "Laub holen" wußte "Drosten-Opa" zu berichten: Einige Tage vor dem Schützenfest wurde mit Pferden, Leiterwagen und dem nötigen Proviant in den Wald gefahren und das "Laub geholt". Dieses Laub wurde nicht zum Schmücken des Dorfes oder Festplatzes "geholt", sondern für die Herstellung von "Laubhütten", welche damals anstelle von Zelten für Regen- und Windschutz aufgestellt wurden.
Als sei die Zeit stehengeblieben, so ist mir im Augenblick. Doch lang, lang ist es her!