Karl Georg Ferdinand Friedrich Müller [1]

Pastor Karl Müller (1790 - 1869)

Karl Müllers Großvater und Vater bekleideten nacheinander die Predigerstelle an St. Thomas in Soest. Der Vater Mathias Heinrich Christoph Müller führte sein Amt vom Jahre 1788 - 1836. Er kam in Konflikt mit dem von Wöllnerschen Religionsedikt, welches jede Abweichung in Lehre und Predigt von den Bekenntnisschriften streng ahndete. Seine nach Berlin eingeforderte Predigt wurde als "teils sehr unbiblisch, teils offenbar schriftwidrig" zensiert. Die Mutter Karla, eine Tochter des Pfarrers Dreckmann, führte die Namen Christina, Henrietta, Elisabeth.

Am 10. August 1790 wurde im Pfarrhaus von St. Thomas ein Sohn geboren, der am 17. August in der Taufe die Namen Karl Georg Ferdinand Friedrich erhielt. Karl besuchte die Volksschule und das Gymnasium seiner Vaterstadt und entwickelte sich kraftvoll an Leib und Geist. Nach seiner akademischen Ausbildung bekleidete er eine Zeit lang die Stelle eines Hauslehrers auf dem von Bodelschwinghschen Schloß bei Mengede. Von dort ging er als Gymnasiallehrer nach Soest. Die Freiheitskriege riefen den starken jungen Mann zu den Waffen. Ritterlich hat er mitgeholfen, um das deutsche Vaterland vor der Knechtschaft Napoleons zu bewahren. Auf seinen Kriegsfahrten hat Müller gute Kameradschaft mit seinen Waffenbrüdern gehalten, und vornehmlich wegen seiner kräftigen und anmutigen Erscheinung soll man ihm den Namen "Der schöne Wachtmeister" beigelegt haben. Von seinem vorteilhaften Äußern auch im gereifteren Lebensalter redet unser Bild noch eine eindrucksvolle Sprache, und manchem alten Reinoldiner sind noch diese Gesichtszüge des stets freundlichen und lebhaften Mannes in unverlöschlicher Erinnerung. Ein Nachkomme desselben teilte mir vor einiger Zeit brieflich mit, daß neben seinem Schreibtisch ein gutes Oelgemälde des in den 30er Jahren stehenden Großvaters hinge, welches erkennen ließ, "daß er ein schöner Mann gewesen wäre."

Er war noch etliche Jahre jünger, als auf diesem Bilde, da erwählte ihn die kleine Landgemeinde Meiningsen bei Soest zu ihrem Pfarrer. Die Einführung fand am 12. Juni 1815 statt. Es heißt von ihm in einer Aufzählung der Pfarrer: "Er führte ein kräftiges Regiment". Noch heute lebt er in der Erinnerung älterer Leute der dortigen Gegend wegen eines Ereignisses, das seinen Weggang von Meiningsen mitbewirkt haben mag. Auf dem damals noch nicht eingefriedigten Pfarrhof trieb sich häufig ein Esel herum. Müllers Esel war es nicht, sondern der benachbarte Bauer erfreute sich - leider nicht lange - seines Besitzes. Da nämlich der Esel den Unterschied von Mein und Dein beim Grasen nicht kannte, und auch von seinem Herrn darin nicht genügend angeleitet wurde, so drohte der Pastor den Esel, natürlich den vierbeinigen, zu erschießen. Der Bauer hielt das für eine leere Drohung, bis eines Tages der Pastor wirklich seine Flinte nahm und das Tier über den Haufen schoß. Die Gemeinde nahm gegen ihren Pfarrer Partei für den Esel. Das eine kam zum anderen. Pfarrer Müller hatte Forderungen an die Gemeinde, diese wiederum Gegenforderungen an den Pastor für "widerrechtlich gefällte Bäume". Noch im Jahre 1835 erging ein gerichtliches Urteil in dieser Sache. So wird wohl Pfarrer Müller nicht ungern nach 5jähriger Wirksamkeit Hirten- u. Kommandstab niedergelegt haben. Am 23. Januar 1820 hielt er seine Abschiedspredigt in Meiningsen, nachdem er bereits am 22.November des Jahres 1819 zum Pfarrer nach St. Reinoldi-Dortmund gewählt worden war.

Ein halbes Jahrhundert hat er hier seines Amtes gewaltet, und sein Name hat sich sowohl als hervorragender Prediger wie als Seelsorger, der ein besonderes Charisma zum Trostspenden hatte, im fünfzigjährigen Meißelschlag der Liebe und Treue tief in die Herzen der alten Reinoldileute eingegraben. Seiner langen Wirksamkeit entsprach auch seine Abschiedspredigt. Sie dauerte bis Mittag, und nur dem Küster hatte es die Gemeinde zu verdanken, daß die auf Wunsch des Pfarrers während der Predigt verschlossenen Kirchentüren wieder geöffnet wurden. Über seinen Konfirmandenunterricht kann man auch das Wort setzen: "Er führte ein kräftiges Regiment". Seine Aufforderung zum Antworten pflegte er durch derben Seitenstoß mit seinem Knotenstock eindrucksvoller zu machen, und wenn auch nicht mehr die Schmerzempfindung, so ist doch manchem Konfirmanden noch das stereotype Wort: "Sag' Du's mal" in Erinnerung geblieben. Auch in der Schulgemeinde hat man ihm ein gutes Andenken bewahrt. Im Lehrerzimmer der hiesigen Marienschule befindet sich noch das Bild des Schulinspektors Müller. Es ist dies eine Fotografie aus dem Atelier Strunk, nach welcher unser Porträt gemalt wurde; nach dürftigem, stark verblaßten Vorbild, gewiß eine tüchtige Leistung! Pfarrer Müller hatte ein besonderes Interesse daran, den Lehrerstand auch pekuniär zu heben. Als die Kirchenschulen in Dortmund die Schülerzahl nicht mehr faßten und neben den 2 alten Lehrern (Ruhfus u. Wolters) neue angestellt werden mußten, schritt man ja in unserer Stadt zur Gründung einer Gesamtschule, deren Lehrer ein Gehalt von 250 Talern erhielten. Sonderlich den Bemühungen des Präses der Schuldeputation, Pfarrer Müller, verdankte die Lehrerschaft eine baldige Erhöhung ihres Gehaltes auf 350 Taler, wobei die älteren Lehrer sich noch einer Zulage erfreuten. Aus Dankbarkeit erhielt daher Pfarrer Müller von den evangelischen Lehrern ein Abendständchen, dessen Hauptgesang aus dem Kirchenlied bestand: "Lobe den Herrn, der deinen Stand sichtbar gesegnet."

Eine ganz besondere Freude besaß Pfarrer Müller an dem großen 0bst- u. Gemüsegarten, der sein Pfarrhaus rings umgab und sich bis zur Klosterstr. über die jetzige Stiftstraße hinaus ausdehnte. Ein Dungweg führte aus demselben an der Pfarrscheune des P. Consbruch vorbei nach dem Brüderweg. Das alte, 1770 erbaute geräumige Pfarrhaus, ein Fachwerkbau, von Reben umsponnen, mit der Giebelwand gerichtet nach der Bruchsteinmauer an der Kuckelke, lag hinter dem jetzigen dritten Pfarrhaus (Kuckelke 7) und ist manchem älteren Bewohner unserer Stadt wohlbekannt. Aber vom alten Klosterteich, der vor der Reformation den Franziskanern zur Fastenzeit die Fischspeise hergab, weiß man wohl nicht mehr. Er befand sich einst an der Nordseite des Pfarrgartens. Mit der beim Neubau des heutigen Pfarrhaus Kuckelke 3 erübrigten Erde, mit Bauschutt u. Steinen wurde 1821 - 22 dieser Teich zugeschüttet, und junge Obstbäume entwickelten unter der pfarrherrlichen Fürsorge dort ein verheißungsvolles Leben. Ungeschmälert aber ist der Ertrag an Obst niemals gereift. Zwar kein Esel, aber die nachbarliche Jugend fand trotz der Einfriedigung ihren zwar oft verhängnisvollen, aber doch meist ertragreichen Weg zum verbotenen Paradiesapfel und riß den wenig gegönnten Zehnten keck an sich. Das Jahr 1875 machte dieser blühenden und segensmächtigen Baumgartenherrlichkeit ein Ende. Die Pfarrscheunen wurden niedergerissen, die Bäume gefällt, darunter 2 riesige Birnbäume, die den älteren Bürgern noch wohl bekannt sind. Ihre Stämme brachten dem Kirchensäckel ca. 40 Taler ein. Die Stiftstraße zog eine enge und harte Grenze. Nur wenn der Frühling mit Akazienblüte und Siringenpracht über die stillen Pfarrmauern duftet, wenn in aller Morgenfrühe das Lied der Drossel tönt u. weckt, dann verträumt sich der alte Bürger so gern einmal zurück in seine einst so gartenfrohe Heimat und Jugendzeit.-

Pfarrer Müllers Gesundheit hatte recht lange dem Verfall getrotzt. Erst im 77.Lebensjahr sah er sich nach einer Hilfskraft um, die ihm vom 1.Oktober 1867 ab bei der wachsenden Gemeindearbeit beistehen sollte. Er fand dieselbe in der dienstwilligen Person des Kandidaten Frahne, des Sohnes aus dem benachbarten Pfarrhaus in Brechten. Pfarrer Müller erlebte nicht nur den Tag seiner goldenen Hochzeit, sondern durfte auch, umgeben von seinen dankerfüllten Gemeindegliedern, das 50jährige Dienstjubiläum begehen. Unter großer Teilnahme hielt man am 12. Juni 1865 Festgottesdienst in Reinoldi und hernach Festessen und Gemeindefeier im Kölnischen Hof, bei welcher Gelegenheit dem Jubilar ein silberner Prunkpokal überreicht wurde. Ein besonderes Festkomitee, bestehend aus den Herren Mellinghaus, Büscher, Bömcke, Stäps, Prein-Dorstfeld u. Heinke-Görne, arrangierte die ganze Jubiläumsfeierlichkeit, und der Gärtner Nellensmann besorgte den Schmuck mit Blumen und Guirlanden. Auf dem Lebensweg durch diese selten lange Amtszeit ist unserem Jubilar seine Gattin, Wilhelmine geb. Bornefeld, getreu zur Seite geschritten, und Kind und Kindeskind waren ihre Augenweide und Herzensfreude. Enkelkinder hat er zum Konfirmationsaltar führen dürfen, die heute noch mit großer Liebe zurück denken an den stets so freundlichen Großvater und das sonnige Glück von Haus u. Garten desselben. Nun deckt da draußen auf dem alten Friedhof des Westens ernster Efeu mit immergrünen Blattschild die Müllersche Grabstätte, und den ragenden Grabstein umschirmt mit düsteren Geäst eine alte, mächtige Akazie, die das morsche gotische Gitter längst aufgesprengt hat. Das Leben stärker als der Tod! So sprengt auch je und dann das Ewiggrün pietätvollen Gedenkens das Gitter der Vergessenheit und Vergänglichkeit, und aus starrem Vergangenheitsbann treten einmal wieder Menschen vor unserer Seele, die mit unvergänglicher Segensspur einst unter uns gewandelt. Damit auch die Namen der beiden Reinoldipfarrer Consbruch und Müller in den Gedenktafeln ihrer Gemeinde nicht verwittern, sollen nunmehr die dauerhaft in Ölfarbe gemalten Porträts derselben, umklammert von starken Holzrahmen, ihr Gedächtnis für die fernsten Geschlechter sichern. Die Rahmenschrift soll lauten: "Gewidmet von den im Jahre 1910 noch lebenden Konfirmanden."

In der Sakristei der Reinoldikirche, in welcher der Pfarrer, ehe er zur Kanzel und Altar schreitet, seine letzten und friedestillsten Augenblicke im Nachsinnen und Gebet zubringt, da, wo ein geheimnisvoller und gesegneter Rapport besteht zwischen den verklärten und gegenwärtigen Dienern an Wort und Sakrament, soll dieser Bildschmuck Aufnahme finden als köstlicher Kirchenschatz!

Über die von früheren Konfirmanden der obigen Pfarrer mir auf meine Bitte hin zugegangenen Gaben in der Höhe zwischen 3 und 100 Mark zur Beschaffung dieser Ölgemälde quittiere ich hierdurch mit tiefsten Dank. Auf besonderen Wunsch soll ich die Namen der einzelnen Geber nicht öffentlich nennen. Wer aber von den Interessierten Einblick in das Verzeichnis dieser Sammlung haben möchte, ist herzlichst zu mir eingeladen. Die Kosten der Bilder sind ja so ziemlich gedeckt, doch darf ich wohl für die Herstellung der Rahmen (massiv Birnbaum mit Goldleiste) noch einmal die Hand bittend aufhalten. Gewiß leben noch mehr aus der alten Konfimandengeneration, denen es nachträglich leid tun würde, wenn sie kein Schärflein beigesteuert hätten. Sollte sich dann ein Überschuß ergeben, so dürfte ich denselben wohl zu der Sammlung meiner jetzigen Konfirmandenkinder legen, die da beabsichtigen, auch die Porträts der drei zuletzt gestorbenen Reinoldipfarrer, der Herren Fluhme, Wiehe und Daub, der Gemeinde zu präsentieren.

Quelle

  1. Namentlich nicht bekannter Autor: Im Zuge der Beschäftigung mit seiner Familiengeschichte fand Herr Jürgen Wittig (Essen) unter den Papieren seiner Großmutter einen Bericht zu Pfarrer Karl Müller, der offensichtlich von einem seiner Nachfolger der St. Reinoldi Kirche in Dortmund, wo Karl Müller von 1820 bis 1865 eine Pfarrstelle innehatte, stammt. Dieser enthält auch einen Abschnitt, in dem auf seine Tätigkeit in Meiningsen eingegangen wird.

Siehe auch