Kriegszeiten [1]

Die zwei Weltkriege hatten auf die Bewohner des Dorfes gravierende Auswirkungen.

Der zweite Weltkrieg [2]

Der Zweite Weltkrieg (1939–1945) war der zweite global geführte Krieg sämtlicher Großmächte im 20. Jahrhundert. Über 60 Staaten auf der ganzen Erde waren direkt oder indirekt beteiligt, mehr als 110 Millionen Menschen standen unter Waffen. Bei den Kampfhandlungen zu Lande, auf See und im Luftkrieg wurden schätzungsweise mehr als 60 Millionen Menschen getötet. Wie im ersten Weltkrieg mussten viele Meiningser den Krieg mit ihrem Leben bezahlen.

Im September 1939 brach der 2. Weltkrieg aus. Für die Zivilisten bedeutete das von Anfang an strenge Rationierung aller lebensnotwendigen Dinge wie Lebensmittel, Treibstoffe, Bekleidung, sogar Körperpflegemittel. Bald wurde nur noch gegen Marken, Bezugsscheine, Benzingutscheine usw. zugeteilt, immer vorausgesetzt, es war überhaupt etwas vorhanden.


Das Soldbuch von Heinz Joest.

Dieser Bewirtschaftung entsprach das Ablieferungssoll der Bauern. In einer sog. Hofkarte wurden alle Angaben über Anbaufläche und Viehbestand festgehalten und ständig überprüft bzw. festgeschrieben. Die Ablieferungsmenge für Getreide, Kartoffeln, Zuckerrüben usw. errechnete man nach der Bodenqualität, die Milch, Fleisch- oder Eiermengen nach dem angegebenen Vieh- bzw. Geflügelbestand.

Natürlich ging es den Bauern, vor allem bei guten Erträgen, wesentlich besser, denn trotz strenger Kontrolle war nicht zu verhindern, daß gemogelt und vereinzelt auch mal schwarzgeschlachtet oder Sahne abgeschöpft wurde.

Weil die einheimischen Männer allmählich bis auf wenige eingezogen wurden, war man auf die Hilfe von zwangsverpflichteten polnischen Zivilisten oder Kriegsgefangenen angewiesen. Nur einige kannten Landarbeit, die meisten waren Städter, darunter auf dem Rienhof ein 16jähriger Oberschüler aus Lodz. Luzek, Joseph, Stanislav, Marie und Mattka lebten ständig auf dem Hof, im Unterschied zu den französischen Kriegsgefangenen, die täglich unter Bewachung aus ihrer Unterkunft im Meiningser Schützenhaus kamen.

Auf den Höfen standen die Frauen ihren Mann, denn die Männer waren an der Front. Wenige landwirtschaftliche Fachleute waren U. K. (unabkömmlich) gestellt, oder auf Grund körperlicher Behinderung nicht im Fronteinsatz, so auch ein Verwalter auf dem Rienhof, der zwei Klumpfüße hatte. Er war ein bärenstarker Junggeselle aus dem Münsterland. Der Betrieb lief gut, das Ablieferungssoll war kein Problem, da der Verwalter M. im Ruhrgebiet Kunstdünger eintauschte, der zu überdurchschnittlichen Erträgen beitrug.

Allerdings führte der Verwalter unter den Polen ein strenges Regiment. Diese rüde Behandlung wurde von den Nazimachthabern allgemein nicht nur geduldet, sondern ausdrücklich empfohlen als Ausdruck der Herrenmenschen gegenüber den Arbeitssklaven.

Meine Eltern und meine Schwester waren damals nach dem Bombenangriff im Dezember 1944 auf Soest nach der Zerstörung unseres Hauses in der Ulricherstraße in ehemaligen Altenteilerräumen der verstorbenen Großmutter untergekommen. Ein Teil war schon mit einer Familie R. belegt, die in Bochum ausgebombt worden war. In den Dörfern mußten die Menschen zusammenrücken, denn viele hatten in den Städten des Ruhrgebiets nach den ständigen Fliegerangriffen ihre Wohnungen in Schutt und Asche verlassen.

Am Ostersonntag, dem 1.April 1945, wurde in Soest die Evakuierung der Bevölkerung angeordnet, denn die anrückende amerikanische Panzerarmee löste in der Stadt einen Panzeralarm aus. Der Evakuierungsbefehl hatte inzwischen auch das Evangelische Versorgungshaus in der Haarhofsgasse erreicht, dessen Arzt Dr. Carl Risse war. In dem Heim lebten ledige Mütter mit ihren Kindern und schwangere Frauen.

70 Kinder unter drei Jahren waren den Wirren der Endphase des Krieges ausgesetzt. Das Heim leitete Oberin Hedwig Sell. Zum Schutz der Mütter und Kinder wurden Trecker und Wagen von Meiningsen nach Soest geschickt, um die Menschen auf dem Land in Sicherheit zu bringen. Über 100 Personen evakuierte man auf den Rienhof im Kuhstall. Die Babies konnten weich in den Krippen gebettet werden, und unter dem Schutz einer Rot-Kreuzflagge auf dem Dach hoffte man, vor feindlichen Angriffen sicher zu sein.


Entlassungsschein aus der Kriegsgefangenschaft 1945.

Nun möchte ich noch von einem dunklen Kapitel in unserer Dorfgeschichte berichten. Als Soest von Amerikanern besetzt worden war, strömten die von den Alliierten befreiten Ostarbeiter aus Ostwestfalen zurück in Richtung Ruhrgebiet.

Man hatte diese bedauernswerten menschlichen Wracks aus den Gruben und Fabriken südlich entlang des Hellwegs nach Osten getrieben. Vor allem auf Bauernhöfen wurde Station gemacht, um auszuruhen und eine dünne Suppe zu löffeln

Eines dieser Gewaltopfer, ein Russe, soll völlig entkräftet auf dem Rienhof gestorben und in der Schonung beerdigt worden sein.

Jetzt nach dem Umschwung strebten vor allem die Russen, aber auch Polen zurück nach Westen, um nicht ihren Landsleuten in die Finger zu fallen, weil sie zu recht befürchteten, als Kollaborateure in russische Zwangslager isoliert oder wegen ihrer Berührung mit dem viel höheren Lebensstandard der Kapitalisten sogar liquidiert zu werden. Ihr Leidensweg war ihnen mit allen Stationen in frischer Erinnerung, und bei den bekannten Bauern konnte man sich endlich mal wieder satt essen und für die erlittenen Demütigungen rächen. Eine einzelne Bauernfamilie mußte tatenlos zusehen oder voll Angst aus dem Dorf in die Feldmark fliehen, als diese nach Hunderten zählenden Ausgehungerten alles Eßbare verschlangen, Vieh und Geflügel schlachteten und sich auf den Höfen wie zu Hause fühlten. In sinnloser Zerstörungswut schlitzten sie Betten auf, zerschlugen Steinkrüge, Geschirr und Mobiliar und schichteten das Ganze zu einem Haufen auf, der dann noch mit Rapsöl übergossen wurde. Als Krönung setzte sich einer darauf und verrichtete seine Notdurft. Nach dem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung und dem Untergang von Recht und Gesetz wurden alle nicht geflohenen Polizisten eingesperrt. Die Besatzungsmacht sah zunächst tatenlos zu. Auf Rissen Hof sollen sogar GI`s zum Zeitvertreib aus dem ehemaligen Büro mit der Maschinenpistole die Hühner abgeknallt haben. Noch heute sind in den Drahtglasscheiben des Hühnerstalls die Einschußlöcher zu sehen.

Durch dieses Machtvakuum kamen die übelsten Elemente an die Oberfläche. Aus den Konzentrationslagern wurden nicht nur politisch oder rassisch Verfolgte freigelassen, sondern auch Kriminelle. Als Unbelastete rissen häufig Kommunisten die politische Macht an sich und schalteten nach Gutdünken. Außerdem sind in dieser Zeit mehrere Bauern in den Dörfern wegen Nichtigkeiten getötet worden.


Schadensanzeige nach Plünderungen 13./14. April 1945 (Ausschnitt).


Kriegsschädenanzeige, aus der hervorgeht, dass in einer Weide zwischen den Höfen Hengst und Risse während des Krieges eine Batteriestellung eingegraben war (Ausschnitt).

Das Elend der Plünderungen - bei manchen Einwohnern mehrmals - hörte auch dann nicht auf, als man die Displaced Persons (DP's) in Lagern zusammenfaßte und von der UNRRA versorgen ließ. Dies war ein Hilfsaktions- und Wiederaufbauausschuß der UN, der besonders 1945/46 rund 9,5 Millionen nicht deutsche Flüchtlinge unterstützte. In den Städten normalisierte sich dagegen das Leben mehr und mehr.

Nach dem Abzug der Amerikaner versuchte die englische Besatzungsmacht, die Überfälle zu verhindern, kam aber mit der Militärpolizei meistens zu spät. Da griffen die Dorfbewohner zur Selbsthilfe und stellten eine Bürgerwehr auf, die wegen der Ablieferung der Waffen zwar nur mit Knüppeln ausgerüstet war, aber in der Hand beherzter Männer - darunter viele ehemalige Soldaten - doch abschreckend wirkte.

Ein bekanntes Beispiel für diese Art der Zivilcourage war der Schwefer Pastor Jansen, der den Auftrag als Hüter seiner Gemeindeschäfchen wörtlich nahm und vorneweg stürmte. Nach Aussagen der Alten nahm die Abwehrschlacht in Meiningsen leider kein gutes Ende. Als die Marodeure schon fast in die Flucht geschlagen waren, peitschten plötzlich Schüsse auf, welche die tapferen Männer zum Rückzug zwangen.

Auf manchem Hof lebte am Ende kein Huhn mehr, die meisten Schweine und einige Kühe waren geschlachtet, die sonstigen Vorräte weitgehend geraubt.

Auch während der Plünderungszeiten sollen im Mai 1945 Russen eine Panzerfaust in das alte Fachwerkhaus der Schmiede Funke (später Kraska) geworfen haben, wodurch das Haus abbrannte (Information durch Heinz Joest).

Darauf holten die Dorfbewohner wegen seiner Sprachkenntnisse Pastor Jansen nach Meiningsen, um mit den ehemaligen Fremdarbeitern zu verhandeln und weitere Agressionen zu verhindern. Dabei bewies er großen Mut, denn die Dorfbewohner befürchteten, die aufgebrachten Fremdarbeiter würden ihn totschlagen (Informationen durch Elsbeth Micke geb. Joest).

Pator Jansen betreute neben seiner eigenen Gemeinde Schwefe auch die Kirchengemeinden Ostönnen und Meiningsen während der Kriegszeit. In vielen Situationen vermittelte er zwischen Fremdarbeitern und Bauern.

Nach dem Krieg mußten auch einige Bombentrichter auf einem Acker gegenüber dem Wasserwerk, die durch versprengte Bomben bei den Luftangriffen auf Soest entstanden waren, beseitigt werden (Information durch Karl-Wilhelm Müller).

Wie schon erwähnt, gab es eine Zwangswohnraumbewirtschaftung in den Häusern, denn inzwischen waren auch zu den Evakuierten die Flüchtlinge aus den Ostgebieten hinzugekommen. Mancher ältere Bürger im Dorf erinnert sich vielleicht auch daran, daß das Schützenhaus als Notunterkunft genutzt wurde.

Die Wunden, die der 2. Weltkrieg geschlagen hatte, waren tief und schmerzlich.

25 Gefallene und 13 Vermißte aus Meiningsen, Meiningserbauer und Epsingsen waren nach dem Krieg 1939-45 zu beklagen.

Siehe auch

Quellen

  1. Risse, Dela: Meiningsen: Gestern und heute. Siehe Literaturverzeichnis.
  2. Nach Dieter Risse: Erinnerungen (nicht veröffentlicht).