Meiningsen bei Soest [1]

Die Leibeigenschaft

Dies ist ein Kapitel, worüber man in deutschen Büchern sehr wenig lesen kann. Die Mitteilungen hierüber entnahm ich vorwiegend Büchern aus Luxemburg, die zum Teil in gutem Deutsch, zum Teil in dem sog. „Luxemburger Diutsch“ und flämischer Sprache geschrieben sind. Die Aufzeichnungen in diesen Büchern sind aus dem Französischen übertragen. Die französische Revolution, die am 14. Juli 1789 mit der Erstürmung der Bastille begann, war viel radikaler und hatte wie bei uns den Zweck, die Feudalherrschaft der Ritter, Gutsherren und Abteien zu beenden. Der Erfolg war die Aufhebung der Leibeigenschaft, Verteilung des Ackerbodens an die Bevölkerung und Pressefreiheit. Daraus erklärt sich, daß in französischen Büchern viel mehr über die Umwälzung geschrieben wurde als in deutschen Büchern; in Deutschland wurde die Leibeigenschaft erst um 1806 durch Napoleon aufgehoben. Daß sich die damals schon bekannten Revolutionsgesellschaften nicht sehr darum bemüht haben, hat wohl seine besonderen Gründe gehabt. Wie schon gesagt, ist ferner festzustellen, daß sich die Leibeigenen im Schutze ihrer Burg und ihres Ritters verhältnismäßig sicher fühlten, und die Zelten waren Jahrhundertelang unruhig. Die Macht des Staates galt wenig, und der Kaiser war fern. Es ist auch keineswegs festzustellen, daß die Leibeigenschaft in Westfalen besonders führend gewesen wäre; den Gutsherren in dieser Gegend wird eine gewisse Gutartigkeit nachgesagt. Weil sie sich in Not und Gefahr gegenseitig nötig hatten, war das Verhältnis besser als anderswo. Ein Leibeigener sein, heißt irgendeinem Herrn auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein. Es kam nur ein Gutsherr, Ritter, Graf, Freiherr, Burgherr oder der Abt eines Klosters in Frage.

Dieses System wurde zur Zeit Kaiser Karls des Großen zur Sicherung seiner Macht einge-führt. Die alten Deutschen wollten mit der fränkischen Kultur und Religion nichts zu tun haben. Sie ermordeten christliche Glaubensboten und zerstörten Klöster und Burgen. (Der heilige Bonifatius, ein Engländer, der als der Apostel der Deutschen in die Geschichte eingegangen ist und die Irmensis-Säule bei Fulda umgehauen hat, wurde im Jahre 754 bei Dokkum in Friesland von den heidnischen Friesen ermordet).

Es scheint so, und diese Ansicht ist uns aus lateinischen Schriften übermittelt, daß die Leibeigenschaft von den davon Betroffenen gar nicht als besonders drückend empfunden wurde, schon gar nicht, wenn der Gutsherr ein anständiger Kerl war. Der Ritter mit seinen leibeigenen Bauern war auch der einzige, der die Städte mit Lebensmitteln versorgen konnte, und der imstande war, mit seinen leibeigenen Kriegsknechten den Städten zu Hilfe zu eilen. In anderen Fällen taten auch die Städte ihr Bestes für die Ritter und ihre Bauern. Die leibeigenen Bauern hatten die Verpflichtung, alle Naturalien, gleichviel welcher Art, dem Gutsherrn zur Verfügung zu stellen. In einigen Fällen wurde auch ein großes Stück Land vom Gutshof aus beackert. Die Leibeigenen wohnten dann irgendwo im Dorf, meist im Kreise um den Gutshof. In westfälischen Landen war das aber nicht üblich, sondern mehr jenseits der Elbe in den östlichen Bezirken. Hier gehörten zu einem Gutshof immer eine Anzahl Bauernhöfe.

Zwischen Meiningsen und Soest, in dem sog. Meiningser Tal, haben in früheren Zeiten schwere Kämpfe stattgefunden. In einem Falle hat die Soester Stadtwehr mit den vereinten Meiningsern 800 Gefangene gemacht. Diese Gefangenen wurden natürlich der damaligen Sitte entsprechend nicht in die Heimat entlassen, sondern als Leibeigene verkauft, wenn man sie nicht selbst brauchen konnte. Die Sicherheit um Stadt und Dorf war sehr gering; nicht nur um Soest und Meiningsen, sondern überall auf der Welt. Es ist häufig vorgekommen, daß Frauen und Mädchen, die zum Beerensammeln in den Wald gingen, von Vagabunden, Söldnern oder Landsknechten, die sich im Lande umhertrieben, gefangen genommen wurden. Die Betreffenden wurden in den meisten Fällen ihrer Kleider beraubt, die damals ein erheblicher Wertgegenstand waren. Oft wurden sie erbärmlich verprügelt, und es wurde ihnen Schimpf und Schande angetan. Entweder band man die Überfallenen an die Steigbügel und ließ sie in der Nähe ihres Heimatortes, Stadt oder Dorf, frei oder verschleppte sie, um sie bei passender Gelegenheit an einen fremden Gutsherrn oder Ritter zu verkaufen. Arbeitskräfte waren sehr gesucht. In den Archiven von Soest wird auch darüber berichtet. Anderswo soll es aber noch erheblich schlimmer gewesen sein. Es läßt sich denken, daß das Flüchten aus der Leibeigenschaft, aus einer Stadt oder von einem Hofe, ein sehr waghalsiges Unternehmen war. Jeder war froh, wenn er in dem Schutze einer Stadt mit ihren Stadtsoldaten oder in der Nähe einer Burg mit ihren wehrhaften Burgknappen verhältnismäßig sicher war.

Auszug aus der Kirchengeschichte von Herrn Pastor Rausch, Meiningsen

Die Kirche in Meiningsen ist die älteste Kirche in der Soester Börde. Um das Jahr 1100 wurde bereits in der Kirche von Meiningsen Gottesdienst abgehalten. Wenn schon einige Jahre früher in Soest ebenfalls Gottesdienst abgehalten worden ist, beispielsweise in einem klös-terlichen Stift, dann kann man nicht sagen, daß das auch schon eine Kirche gewesen wäre. Die Kirche in Meiningsen hatte zu Anfang einen hölzernen Turm, der auch wohl erheblich höher gewesen ist wie der jetzige, um einen besseren Ausblick über die Baumwipfel in Richtung Soest zu und Haar zu haben. Dieser Turm wurde im Jahre 1434 ein Opfer der Flammen. Er soll auch einen Glockenstuhl enthalten haben. Der nächstgebaute Turm wurde ebenfalls zerstört, so daß der jetzige der dritte Turm an der Kirche von Meiningsen ist. Die Kirche hatte früher drei Kirchenschiffe, ein Mittelschiff und zwei Seitenschiffe. Das rechte Seitenschiff wurde um 1800 abgerissen, vielleicht weil es baufällig war.

Es ist sehr bedauerlich, daß eine solch alte Kirche bis jetzt noch nicht wieder in ihren alten Zustand versetzt und der Turm nicht auf seine ursprüngliche Höhe gebracht wurde. Wenn in Meiningsen schon um das Jahr 1100 eine Kirche war, so ist das ein Beweis dafür, daß in und um Meiningsen auch zur damaligen Zeit eine Menge Menschen gewohnt haben.

Auf dem Turm von Meiningen stand ein Wächter. Zur Zeit der Soester Fehde ist Meiningsen einmal von kurkölnischen Truppen überrascht worden. Sie drangen in das Dorf ein und plünderten die Kirche aus. Den auf dem Turm stehenden Wächter warfen sie von oben herunter, wobei derselbe zu Tode kam. Alsdann steckten sie den damals hölzernen Turm in Brand. Als von Soest her Hilfe nahte, flüchteten sie über die Haar.


Meiningsen bei Soest, Inhaltsübersicht.

Quelle

  1. Josef Wedding: Meiningsen bei Soest. Siehe Literaturverzeichnis.