(Einem Geschichtsbuch entnommen)
Viele westfälische Städte haben sich einst dem Hansebund angeschlossen: Minden, Herford, Bielefeld, Warburg, Brakel, Höxter, Paderborn, Lippstadt, Soest, Hamm, Unna, Dortmund, Münster, Warendorf, Coesfeld. Sie alle sind Hansestädte gewesen, deren Rechte und Pflichten freilich sehr verschieden waren.
Unter den westfälischen Hansestädten war Soest eine der mächtigsten. Jetzt stehen dort die Häuser zum Teil gar weit auseinander, durch Gärten und Baumhöfe geschieden, der Wall und Mauergürtel ist der Stadt zu weit geworden. Einst aber soll Soest, das jetzt 17000 Einwohner zählt, von 30 000 Menschen bewohnt gewesen sein. Handel und Gewerbe blühten, Soester Kaufleute zogen mit ihren Waren nicht bloß nach Hamburg und Lübeck, sondern auch nach Wisby auf der Ostseeinsel Gothland und nach Riga und Nowgorod im fernen Rußland. Während draußen das Faustrecht wütete, konnten die Bürger von Soest ungehindert ihren friedlichen Beschäftigungen nachgehen. Auch Künste, besonders die Baukunst, wurden gepflegt. Soester Bürger haben die Wiesenkirche erbaut, die der Stadt und dem ganzen Vaterlande zur Zierde gereicht, seitdem sie durch königliche Huld in ihrer alten Pracht wiederhergestellt ist. Soester Bürger zierten sie mit kunstreichen Bildwerken und Malereien. Wenn aber den Mauern der Stadt Gefahr nahte, so kehrten die wehrhaften Bürger ihren Werkstätten den Rücken, griffen zum Schwert und verteidigten ihr Recht, das sie selbst von mächtigen Fürsten nicht antasten ließen. Das haben sie in der großen Fehde bewiesen, in welcher sie sich von ihren alten Oberherren, den Erzbischöfen von Köln, lossagten und sich dem clevisch-märkischen Hause anschlossen.
Im Jahre 1435 fing der Erzbischof Dietrich II von Köln an, seinen Untertanen hohe Lasten und Abgaben aufzuerlegen. Als er auch die uralten Freiheiten der Stadt Soest antasten wollte, schlössen ihre Bürger im Jahre 1440 oder 1441 mit Adolf I., dem Herzoge von Cleve und Grafen von der Mark, ein Bündnis und erbaten sich dessen Sohn zum Feldhauptmann. Dann aber schrieben sie dem Erzbischof:
Wettet, Biscop Dierick, dat wy den vesten Junker Johann van Cleve lever hebbet als juwe, und werd juwe hiemet abgesegget. Soest a. d. 1444
Übersetzt heißt das:
Bischof Dietrich, Ihr müßt wissen, daß wir den Klever Junker Johann von Kleve viel lieber haben als Sie, und wir teilen Ihnen hierdurch mit, daß wir an Sie keine Steuern mehr zahlen werden und Sie als Herrn abgesetzt haben.
Der Junker Johann zog bald darauf mit seiner Kriegsschar in Soest ein, wurde mit großer Freude empfangen, beschwor die Rechte der Stadt und nahm ihre Huldigung entgegen. So fing die große Soester Fehde an. Die meisten westfälischen Fürsten, geistliche und weltliche, nahmen als Bundesgenossen der einen oder anderen Partei Anteil an derselben. Fünf Jahre lang wurde die reiche Umgebung beraubt und verwüstet; die Bürger aber verteidigten sich unter ihrem kühnen Kriegsobersten tapfer und ruhmreich und schlugen die Heere des Erzbischofs von ihren Toren zurück.
Das denkwürdigste Jahr der Fehde war das Jahr 1447. Um den Kampf mit einem Schlage zu Ende zu führen, hatte der Erzbischof ein großes Heer von Böhmen in Sold genommen; es sollen 30000 – 40000 Mann gewesen sein. Unter Sengen und Brennen kamen die wilden Scharen über die Weser herangezogen. Vor Lippstadt vereinigten sie sich mit den Kölnischen. Sogleich ließ der Erzbischof die treue Bundesgenossin Soests, Lippstadt, zur Übergabe der Stadt auffordern, aber die Bürger boten ihm Trotz und schlugen alle Stürme mannhaft ab. Schon waren von den Söldnern 1000 verwundet und 400 getötet, als ein Lippstädter mit einem einzigen Schleudersteine fünf Böhmen niederstreckte, die gerade um geraubtes Kirchengut würfelten.
Der Mut der Soester wuchs hierdurch und sie erwarteten die Feinde kampffreudig. Diese zogen von Lippstadt ab, schlossen die Stadt Soest am 30. Juni 1447 ein und fingen an, sie mit Brandpfeilen zu beschießen. Jedoch Junker Johann war auch nicht müßig. Er ließ die Tore wohl befestigen und von den Wällen herab seine Kartaunen und Donnerbüchsen spielen. Die Bürger aber fügten den Feinden durch kühne Ausfälle großen Schaden zu. Schon hatte sich die Belagerung geraume Zeit hingezogen und dem Erzbischof mangelte es an Geld und Lebensmitteln, als er beschloß, einen Hauptsturm zu wagen. Er versammelte seine Kriegsobersten und versprach ihnen all die großen Schätze, die in den Häusern von Soest angehäuft sein sollten, sofern sie ihm nur die Stadt selbst überlieferten. Die Sturmleitern, die die Böhmen mitgebracht hatten, reichten für die hohe Mauer nicht aus, darum hatten sie größere und stärkere anfertigen lassen, auf denen bequem 4 Mann nebeneinander emporsteigen konnten. Doch die Soester und der junge Held von Cleve merkten die Absicht ihrer Gegner und rüsteten sich mit großem Eifer zur Gegenwehr. Aus den Straßen wurden Pflastersteine gebrochen und hinter den Stadtmauern aufgehäuft. Die Weiber kochten auf den Wällen Wasser mit Mehl und bereiteten Pechkränze. Am achtzehnten Tage der Belagerung, nachmittags gegen 3.00 Uhr, zogen endlich des Bischofs Söldner mit wehenden Fahnen und schrecklichem Schlachtgetöse heran, um die Stadt an vier Stellen zugleich zu bestürmen. Aber die braven Bürger standen fest auf den Mauern und Wällen. Mit Schilden und Ledersäcken fingen sie die feindlichen Geschosse auf und richteten ihre todbringenden Armbruste und Donnerbüchsen auf die dichte Schar der Stürmenden. Neben ihnen standen ihre mutigen Weiber und schleuderten schwere Steine auf die Feinde und gössen siedendes Wasser, geschmolzenes Blei, glühenden Kalk und brennendes Pech auf ihre Köpfe. So wurde der Sturm abgeschlagen, und die Belagerer mußten unverrichteter Dinge abziehen.
Über die Hälfte der Angreifer blieben auf dem Schlachtfelde liegen. Den Verwundeten, Verbrannten und Halbtoten wurden die Köpfe abgeschlagen. Dann errichtete man auf der windabfälligen Seite einen großen mit Holz und Strauchwerk durchsetzten Scheiterhaufen und verbrannte sie. Diese Art der Gefallenenbeseitigung war damals allgemein üblich und einfacher, als Verwundete in Lazaretten zu heilen. So weit ging die christliche Nächstenliebe nicht. Der glückliche Sieger wußte ganz genau, was ihm geblüht hätte, falls er besiegt worden wäre.
Am 20. Juli 1447, nachmittags 3.00 Uhr, war der Generalangriff der Truppen des Kurfürsten und Bischofs von Köln auf Soest. Bei Anbruch des nächsten Tages lagen 40 000 Mann tot und halb verbrannt am Fuße der Festungsmauern und Wälle von Soest. Dieser 20. Juli sollte für alle deutschen Steuerzahler, die durch die unerhört hohen Abgaben schon Jahre hindurch gequält wurden, der höchste Feiertag des Jahres sein, denn an diesem Tage vor 500 Jahren wurden die Steuereintreiber vor Soest vernichtend geschlagen. Am 20. Juli jeden Jahres sollten alle Steuerzahler nach Soest pilgern und im Geiste alle jene Vorgänge, die damals vor sich gingen, sich mit Genugtuung vergegenwärtigen. Manche kranke Seele würde vielleicht wieder gesund werden. Oder hat Freiligrath recht wenn er sagt: Nur ein Entschluß, aufsteht die Bahn, tritt in die Schranken kühn und dreist, usw. Weiteres unter Freiligrath der Revolutionär.
Unter der Überschrift „Soester Fehde“ ist etwas in die Geschichte eingegangen, was viel gewaltiger war, als sich durch das Wort „Fehde“ ausdrücken läßt. Fehde war eine Streitigkeit unter Gutsherren oder Städten wegen Übertretung der Jagdbestimmungen – wegen entlaufenen Leibeigenen – wegen Grenzdifferenzen – auch wegen Familienstreitigkeiten.
Bei Streitigkeiten vorbesagter Art warf einer der Streitenden dem anderen einen Handschuh vor die Füße, der von dem Gegner aufgehoben wurde, war dieses geschehen, dann lag er mit dem Gegner in „Fehde“. Nahm der Gegner den hingeworfenen Handschuh nicht auf, dann war dieses ein ehrenrühriger Akt großer Feigheit – das Endergebnis war dasselbe. Dieser Streit „Fehde“ wurde meistens nach kurzer Zeit durch irgendeine Vermittlung, durch Zahlung des Lösegeldes – Ersatz des erlegten Wildes oder durch Rückgabe des entlaufenen Leibeigenen oder andere Ausgleichsmöglichkeiten geschlichtet. Bei dem Streit Soest gegen Kurfürst von Köln lagen aber viel schwererwiegende Sachen vor. Die Stadt Soest verweigerte dem Kurfürsten von Köln – dem Landesherrn – die Steuerzahlung. Die Verweigerung der Steuer war auf einen Beschluß des Soester Senats, der Soester Ratsherren zurückzuführen, die bei ihrem großen Reichtum wohl bezahlen konnten, aber nicht wollten. Geld in Gold war genug vorhanden (s. Ritter Dietrich von Meininghusen, der 1000 Goldgulden seiner Tochter als Mitgift gab und dann in dem kleinen, fast unbedeutenden Dorf Meininghusen), wie mögen in der reichen Stadt Soest erst alle Keller und Zunftläden voll Gold gewesen sein? Befehlshaber der Stadt waren nur die Zunftmeister, einschließlich der Kaufmannszunft. An Beamten gab es damals nur den Stadtschreiber mit einem Gehilfen, die in den meisten Fällen noch einen Buckel hatten oder ein zu kurzes Bein.
Mit der Steuerverweigerung begingen die Soester ein großes Verbrechen. Dazu kam noch die Gehorsamsverweigerung und der Widerstand mit bewaffneter Hand. Nur Lippstadt hat sich diesen Bestrebungen als treue Bundesgenossin angeschlossen. Für Meiningsen ist die Sache insoweit von Wichtigkeit, als die ganze Bevölkerung sich nach Soest in Sicherheit brachte. Vieh und Vorräte wurden ebenfalls in die Stadt gebracht, auch von anderen Dörfern. Es wäre auch keinem zu raten gewesen, im Dorf zu bleiben. Die anrückenden fremden Streitkräfte hätten jeden im Dorfe angetroffenen Menschen ausgezogen und mit Händen und Füßen an die Hoftür festgenagelt (wie Christus am Kreuz). Das wußte jeder. Die Bezeichnung Soester Fehde hört sich an wie ein „Krach im Hinterhaus“, aber sie war eine Schlacht größten Ausmaßes. Die ganze Umgebung wurde ausgeplündert. Im Gebiet Unna – Hamm – Paderborn war sämtliches Vieh von den Belagerungsarmeen abgeschlachtet worden.
Die Angriffe begannen 1444. In diesen Jahren haben die Soester Streitkräfte einmal bei Meininghausen 800 Gefangene gemacht. Es war der Kampf, bei dem der Wächter vom Kirchturm geworfen und die Kirche niedergebrannt wurde. Das schlimmste Jahr war 1447, wo aus Böhmen (jetzige Tschechoslowakei) 30000 – 40000 Söldner anrückten, dazu kamen noch Söldner aus Burgund, Elsaß-Lothringen und dem Rheinland. Da die ganze Sache verkleinert – bagatellisiert – berichtet wird, ist anzunehmen, daß noch viel mehr fremde Streitkräfte beim Sturm auf Soest dabei waren. Das Ganze war auch ein Kampf gegen die Feudalherrschaft von Staat und Kirche – ähnlich der französischen Revolution, nur 400 Jahre früher.
Während der französischen Revolution wurde mit der für die Stadt Soest siegreich verlaufenen „Schlacht in Westfalen“ Propaganda gemacht. Die Begründung war, daß ein Volk sehr wohl gegen Fürsten, Kurfürsten und andere Feudalherren kämpfen könnte, um sich zu befreien, wenn es ähnlich wie in Soest zusammenhielt, den Kampf mutig aufnehme und tapfer durchstehe. Der Kurfürst und Bischof von Köln hatte aber laut Bericht im Verlaufe des Kampfes 1447 eingesehen, daß der Ausgang doch zweifelhaft war. Deshalb wollte er auch schon keine Steuern mehr, sondern nur noch die Stadt mit dem Volk; die Goldschätze sollten die Söldner für sich behalten. Aber auch dieser Ansporn war nutzlos; entmutigt zogen die Krieger schließlich ab. Über die Hälfte der Angreifer blieben vor der Mauer der Stadt liegen, teils tot, teils nur verwundet, durch kochendes Wasser, kochende Mehlbrühe oder heißen Kalk verbrüht. Nachdem sie ihrer Kleidung entledigt worden waren, wurden sie verbrannt. Was hätten denn die Truppen des Kurfürsten getan, wenn sie gewonnen hätten? Für das gewöhnliche Volk beiderlei Geschlechts hätte es tagelang Fesselung an den Pranger, die zu hunderten aufgerichtet worden wären, gegeben, und zum Ergötzen der Sieger wären sie mit Ruten und Riemen gestrichen worden. Zuletzt wären sie schließlich irgendwo als Leibeigene verkauft worden. Die ganze Stadt und die Dörfer wären in Flammen aufgegangen und keiner hätte seine Heimat jemals wiedergesehen. Den Anführern, dem Senat, den Zunftmeistern und allen reichen Leuten wäre es vermutlich ebenso ergangen wie 90 Jahre später den Wiedertäufern in Münster. Dieselben wurden eine Stunde lang mit glühenden Zangen gebrannt, dann wurden ihnen die Zungen herausgeschnitten und zuletzt wurden sie durch einen Dolchstoß ins Herz getötet. Dieser Hinrichtung ging aber noch eine tagelange Folterung voraus. Die damaligen Hinrichtungsmethoden waren allen Leuten bekannt.
Aus Vorstehendem ist zu ersehen, welches Risiko die Bewohner von Soest und Umgebung eingingen, als sie sich gegen die weltliche und geistliche Macht auflehnten, den Gehorsam verweigerten und sich mit bewaffneter Hand am Aufstand beteiligten. Und wenn so etwas heute vorkäme (Steuerverweigerung einer ganzen Stadt), wenn die Steuerverweigerer überwältigt würden – zehntausend Jahre Zuchthaus, hunderte Millionen Vermögensbeschlagnahmungen ständen in Aussicht. Aber keine Angst da oben, solch hartgesottene Knochen wie die Soester Steuerverweigerer von 1447 gibt es heute nicht – oder noch nicht? Heute bleibt den von Behörden Gequälten nur noch die Möglichkeit, sich im Geiste 500 Jahre zurückzuversetzen, in das Jahr 1447, und mit großem Wohlbehagen jeden Eimer voll kochender Mehlbrühe, heißen Kalks, jeden Pflasterstein und jeden brennenden Pechkranz zu begrüßen, der damals auf die Steuereintreiber aus Köln (das waren sie doch, die dort zu vieren die Leitern herauf wollten) gegossen bzw. geworfen wurde. Oder könnte man den Rat Hoffmann von Fallersleben Wirklichkeit werden lassen mit „Knüppel aus dem Sack?“ Vielleicht geht auch noch ein-mal der Wunsch des Freiherrn von Stein in Erfüllung, der so gern den 14. Okt. der Bürokratie erleben wollte. Jetzt, 130 Jahre später, haben die Amerikaner unter der Bezeichnung „Unternehmen Papierkrieg“ den Kampf gegen die Staatsbürokratie aufgenommen.
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