Eine sagenhafte Persönlichkeit aus der Zeit des 30jährigen Krieges ist dieses Jägerken von Soest. Hans von Grimmeishausen hat das Wirken dieses Simpli-S. in einer seiner Schriften der Nachwelt erhalten.
Er ist auf dem Hofe eines Freibauern in Süddeutschland im Spessart bei Nördlingen-Hanau aufgewachsen. Als 10jähriger Junge flüchtete er auf Anraten einer Magd in den Wald, weil Kürassiere den Hof seines Vaters plünderten. Ein Einsiedler fand ihn im Walde und nahm ihn mit in seine Klause. Dort blieb er mehrere Jahre. Dieser Einsiedler war ehemaliger Offizier eines kaiserlichen Regimentes und schottischer Abstammung. Er versorgte den Jungen mit Nahrung und unterrichtete ihn im Schreiben und in deutscher und lateinischer Sprache und Schrift. Auch förderte der Einsiedler des Jungen Veranlagung zur Musik; er lehrte ihn auf der Laute und auf der Sackpfeife (Dudelsack) zu spielen. Der Junge hütete die wenigen Schafe und Ziegen des Einsiedlers und verscheuchte mit seinem Pfeifen auf der Sackpfeife die nahenden Wölfe. Eines Tages sagte der Einsiedler zu dem Jungen, er möge ihm helfen, ein Grab zu schaufeln, weil er sterben müsse. Als das Grab fertig war, legte der Einsiedler sich hinein und starb. Nach einigen Tagen schaufelte der Junge, wie ihm vorher befohlen worden war, die ausgeworfene Erde auf den Toten. Nun war er allein. Nach einiger Zeit kamen wieder fremde Kriegsvölker und nahmen den nun 18jährigen mit. Er mußte die Pferde füttern und tränken. Er war ein Troßknecht geworden und wurde in die Wirren des 30jährigen Krieges hineingezogen. Er lernte sämtliche Waffen damaliger Zeit zu gebrauchen und war Soldat bei den Musketieren, Dragonern und anderen Truppenteilen. Infolge seiner Intelligenz und weil er des Schreibens kundig war, wurde er Leibknappe von Offizieren. Im Laufe der nächsten 10 Jahre hat er wohl 20mal seinen Vorgesetzten gewechselt. In den meisten Fällen wurde er als Kundschafter verwendet und kannte stets die Angriffspläne und die Verteidigungsart des jeweiligen Vorgesetzten. Die. Greuel des 30jährigen Krieges lernte er in jeder nur denkbaren Form kennen.
Oft sah er, wie die Soldaten Gold in ihre Sättel und Gürtel nähten. Aus so mancher Schlacht ging er als einziger Überlebender hervor und holte sich dann das eingenähte Gold. Auf den Rat einer Wahrsagerin hin, zu der er einmal ging, versteckte er das Gold in hohlen Baumstämmen und war bald ein reicher Mann, der es sich jedoch nicht anmerken ließ, daß er etwas besaß.
Süddeutschland und das Rheinland waren fast völlig ausgehungert, als die letzte Truppe, bei der er diente, nach Soest zog. Damals war er Leibknappe eines Obristen und als solcher in einer ganz hervorragenden Stellung. Mit dem Rest seiner Truppe, die durch das Ruhr- und Möhnetal zog, gelangte er über Meiningsen zum Kloster „Paradiese“. Der Oberst war schwer krank und starb nach einiger Zeit, In diesem Kloster und in der Umgebung waren noch reichlich Lebensmittel vorhanden. Die Soester Börde war von den durchziehenden Kriegsvölkern gemieden worden. Die Festung Soest stand in dem Rufe der Unüberwindlichkeit. Er hatte sehr viel Hunger gelitten und saß voller Läuse. Er selbst nannte sich einen Vagabund, ewiger Landsknecht und erbärmlicher Hungerleider. Als eine Nonne sah, daß er viele Läuse hatte, sagte sie zu ihm, er solle seine Kleider ausziehen, sie wolle dieselben in den großen Backofen stecken, der gerade angefeuert war, um Brot zu backen. Als dieses geschehen war, fühlte er sich wie neu geboren. Eine Zeitlang machte er sich noch durch Holzhacken und sonstige Dienste in dem Kloster nützlich. Sein Spiel auf der Laute und dem Dudelsack, zu dem er auch noch einige Lieder sang, hat den Nonnen sehr gut gefallen. Aber diese Lebensführung gefiel ihm nicht auf die Dauer. Deshalb trat er in Dienst bei den Landsknechten der Stadt Soest. Seine Klugheit und Kriegserfahrung machten ihn überall beliebt und nahezu unentbehrlich. Er konnte kein Offizier werden, weil er nicht adeliger Abstammung war. Deshalb wurde er mit dem außerordentlich schweren Posten eines Kundschafters betraut. Der 30jährige Krieg hatte außergewöhnliche Formen angenommen. Richtige Truppenverbände existierten nicht mehr. Freunde und Feinde zogen in Form von Räuberbanden raubend und plündernd durch die Lande. Die Soester Börde war bisher verschont geblieben, aber es war gebührend bekannt, wie es anderweitig aussah. Die Offiziere der Soester Landsknechte und Stadtsoldaten waren längst von den hervorragenden Eigenschaften des Simpli-S. überzeugt. Dieser großartige Stratege, der mit seinem überragenden Verstand den Krieg von frühester Jugend an gelernt und Hunderte verschiedene Arten von Angriffen und Abwehren kannte, war für Soest damals eine unbezahlbare Kampfkraft. Er ließ sich von den jeweiligen Gegnern niemals täuschen, sondern überlistete die anderen immer glänzend. Staunenswert ist auch die Haltung der Soester Bürger, welche die Fähigkeiten dieses Abenteurers und ewigen Landsknechtes erkannten und seine Pläne mit allen zu Gebote stehenden Mitteln unterstützten. Durch diese kluge Voraussicht blieb die Stadt Soest und auch die Börde vor dem Allerschlimmsten bewahrt. Auf seinen Rat hin wurde ein umfangreicher Sicherungsdienst eingerichtet. Im Laufe der nächsten Jahre wurden von Simpli-S. starke Räuberbanden in den Gegenden Borken, Arhaus, Coesfeld, Münster, Bielefeld, über die sauerländischen Berge hinweg bei Gießen und Marburg sowie an der Diemel und bei Paderborn erkundet. Durch geeignete Maßnahmen wurden diese Banden jedesmal in einen Hinterhalt gelockt und durch die Soester Landsknechte und Stadtsoldaten restlos vernichtet. Soester Streitkräfte waren sämtlich mit den damaligen Feuerbüchsen, die in Soest hergestellt wurden, ausgerüstet. Mit dieser Waffe waren sie allen anderen Truppenteilen ungeheuer überlegen. Kurz vor Beendigung des 30jährigen Krieges nahm Simpli-S. die Tochter eines angesehenen Bürgers zur Frau. Während seiner Abwesenheit starb diese bei der Geburt eines Sohnes.
Als der Krieg dann zu Ende war, zog er wieder in seine Heimat. Er traf seine Eltern in sehr kümmerlicher Verfassung noch lebend an. Jetzt erfuhr er auch, daß diese Alten nur seine Pflegeeltern waren. Sein Pflegevater erzählte ihm etwa folgendes. Eines Tages kam eine vornehme Dame zu Pferde auf den Hof und gebar hier ein Kind. Kurz nachher starb sie. Dieses Kind sei er. In einer kleinen Kirche bei Hanau wäre er getauft und in das Taufregister eingetragen worden. Dokumente habe er nicht, die seien vor etwa 20 Jahren beim Abbrennen des Hofes mit verbrannt. Aber der Pfarrer, der ihn getauft habe, lebe noch. Mit seinem Pflegevater zusammen besuchte er diesen Pfarrer, der sich dieses Vorgangs noch gut erinnerte und das Taufbuch aufschlug. In diesem Taufbuch war er als Melchior Sternfels von Fuchsheim eingetragen. Er war der Sohn eines Kapitäns der kaiserlichen Armee gleichen Namens. Diese Neuigkeit überraschte ihn sehr. Er heiratete kurz darauf zum zweiten Male, und zwar die einzigste Tochter eines Nachbarhofes. Diese Ehe wurde nicht gut, weil seine Frau sich nach einiger Zeit jeden Tag mit Wein betrank. Als sie dann noch ein Kind bekam, welches dasselbe große Maul hatte wie sein Knecht, kamen ihm starke Zweifel an ihrer Treue. Sonst waren auf dem ganzen Bau-ernhofe nur Personen weiblichen Geschlechts vorhanden. Er wunderte sich auch sehr, daß eines morgens auf der Türschwelle ein Bündel mit einem kleinen Kind lag, von dem er der Vater sein sollte. Innerhalb einiger Monate kam dies noch zweimal vor. Alle diese Kinder sahen ihm sehr ähnlich und die jeweiligen Mütter stellten sich auch vor. So hatte er auf einmal vier Kinder zu ernähren. Außerdem wurde er von der Kirche, wie damals üblich, zu einer Geldstrafe verurteilt. Es wurde ihm auf dem eigenen Hofe mit der Zeit so unheimlich, daß er glaubte, aus jedem Winkel seines Hofes kröchen noch mehrere seiner Nachkommen hervor. Als seine Frau sich sehr bald zu Tode gesoffen hatte und mit ihrem Kinde, starb, holte er seine Pflegeeltern auf den Hof, betraute sie mit der Bewirtschaftung und der Pflege seiner Kinder, von denen er eines als seinen Erben einsetzte. Dann wanderte er wieder in die Welt hinaus. Als er nach Jahren zurückkam, ging er als Einsiedler in die alte Klause zurück, nachdem er noch erfahren hatte, daß der alte Einsiedler sein rechter Vater gewesen sei, den er selbst begraben hatte. Seine Eltern waren in den Wirren des 30jährigen Krieges auseinander geraten.
Dieses ist in kurzer Form die Geschichte des Simpli-Simplizissimus, der als Jägerken von Soest in die Geschichte eingegangen ist. Sein Bildnis steht mit Degen und Hakenbüchse ausgerüstet an einer Wand am Jakobi-Tor, dem Ausgang nach Meiningsen.
► Meiningsen bei Soest, Inhaltsübersicht.